Ken Wilber

Mut und gnade

in einer Krankheit zum Tode bewährt sich

eine grosse liebe

Richard Brusa
Ken Wilber - Mut und Gnade

 

Ein paar Kostproben aus diesem einzigartigen Buch:

 

Sechsundreissig Jahre habe ich gebraucht, um mit dem „Mann meiner Träume“ in Verbindung zu kommen……..Zu Hause in Texas, damals, als die Mädchen von so etwas träumten, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, dass ich mal einen Philosophen-Psychologen-Transzendentalisten von über einsneunzig heiraten würde, der aussieht wie ein Wesen von einem fernen Planeten. Einmalige Verpackung und einmalige Kombination von Zügen. Was für ein netter Kerl! Und unglaublich intelligent. Bei allem, was ich bisher mit Männern erlebt habe, waren die Netten nicht intelligent und die Intelligenten ganz bestimmt nicht nett. Und ich wollte immer beides.  (S. 9)

 

Wenn das Wesen Mensch aus Materie, Körper, mentalen Kräften, Seele und Geist gefügt ist, leistet die Naturwissenschaft auf dem Gebiet von Materie und Körper ganz Passables, aber bei der mentalen Seite des Menschen lässt sie schon stark nach, und bei Seele und Geist schwinden ihr die Sinne. (S.20) 

 

Wir meditierten beide, hatten beide ein kontemplatives oder mystisches Weltbild, und in unserer Meditationspraxis übten wir ganz direkt das Überwinden der Individualität, des Ego, das zur Entdeckung des Selbst und des Ursprungs jenseits des Bekannten führen soll. Dass so viele der grossen Physiker sich zu einem mystischen Weltbild bekannten, beflügelte uns.  (S.33)

                                               

Treya und ich glaubten an Gott als Grund und Ziel des Menschen – also mussten wir wohl entweder sehr gescheit oder ein bisschen dumm sein. Mit „Gott“ meine ich natürlich keine anthropomorphe Vater-(oder Mutter-)Figur, sondern ein reines Gewahrsein oder Bewusstsein-an-sich – ein Bewusstsein, das man in der Meditation schult und im täglichen Leben umsetzt. Diese mystische Sicht war der Orientierungspunkt für Treya wie für mich und das Schwerkraftzentrum unserer Beziehung.  (S.34)

                                                                                                     

Meine Beziehung zu Treya vertiefte sich mehr und mehr, wir waren weit, weit „über die Physik hinaus“. Liebe ist ein alterwürdiger Weg zur Transzendenz des Ich-Bewusstseins, zum Sprung ins Unausdenkliche. Wir nahmen einander bei der Hand, machten die Augen zu und sprangen………… (S.34)

 

Ich lass dich nie mehr los, und ich werde immer hier bei dir sein. Du bist keine beschädigte Ware, du bist meine Frau, meine Seelengefährtin, das Licht meines Lebens.   (S.48)

 

Was Treya und mich angeht, war unsere Lieblingsbeschäftigung immer noch die gleiche: eng umschlungen auf dem Sofa sitzen und dem Tanz der inneren Energien nachspüren. So oft wurden wir über uns selbst hinausgetragen, dorthin, wo der Tod unbekannt ist und nur die Liebe scheint, wo Seelen sich für alle Ewigkeit vereinigen und eine einzige Umarmung die Sphären mit Licht erfüllt.   (S.86)

 

Die grosse Verdrängung ist die des Todes, nicht die der Sexualität. Der Tod ist das letzte, das grosse Tabu.   (S.89)

                                                                                      

Ich dachte an Treya. Ihre Schönheit, ihre Geradlinigkeit, ihre Ehrlichkeit, ihren reinen Geist, ihre ungeheure Lebensliebe, ihre erstaunliche Kraft. Das Gute, das Wahre und das Schöne.   (S.203)

                                                                                                                                                                                                                                              

Edith Zundel: Und was bedeutet „esoterisch“?Ken Wilber: Innerlich und verborgen. Und verborgen nicht etwa, weil esoterische oder mystische Religion geheim wäre, sondern weil sie eine Sache der direkten Erfahrung und des persönlichen Gewahrseins ist. Die esoterische Religion verlangt von Ihnen nicht, etwas gläubig anzunehmen oder gehorsam irgendwelche Dogmen zu schlucken. Sie ist vielmehr so etwas wie eine Reihe persönlicher Experimente, die Sie wissenschaftlich im Labor Ihres Bewusstseins durchführen. Wie alle Wissenschaft stützt sie sich auf direkte Erfahrung, nicht auf blosse Gläubigkeit oder Wunschdenken; und sie wird öffentlich überprüft und bestätigt durch jene, die das Experiment ebenfalls durchgeführt haben. Das Experiment heisst Meditation. – Edith Zundel: Aber Meditation ist etwas so Privates. – Ken Wilber: Eben nicht. Nicht mehr als, sagen wir, Mathematik.  ……. Wir lassen nicht öffentlich über den Satz des Pythagoras abstimmen, sondern überlassen es den Mathematikern zu entscheiden, ob er stimmt oder nicht. So hat auch die meditative Spiritualität bestimmte Aussagen zur Folge – etwa dass das Ich-Bewusstsein, betrachtet man es nur genau genug, nicht verschieden ist vom Welt-Bewusstsein; aber diese Wahrheit ist nur durch Experiment und Erfahrung zu überprüfen, von Ihnen und von jedem anderen, der das Experiment auf sich nimmt. Und nach etwa sechstausend Jahren dieses Experimentierens, denke ich, ist es völlig angemessen, bestimmte Schlüsse zu ziehen, gleichsam spirituelle Theoreme aufzustellen. Diese Theoreme sind der Kernbestand der uralten Weisheits-traditionen. – Edith Zundel: Trotzdem noch einmal: Was heisst „verborgen“? – Ken Wilber: Wenn Sie das Experiment nicht durchführen, können Sie nicht wissen, was los ist; Sie haben keine Stimme in dieser Sache, wie Sie als Nichtmathematiker keine Stimme bei der Entscheidung über den Satz des Pythagoras haben. Sie können sich natürlich eine Meinung bilden, aber die Mystik ist nicht an Meinungen interessiert, nur an Erfahrungswissen. Esoterische Religion oder Mystik bleibt dem Bewusstsein, das sich nicht dem Experiment widmet, verborgen; mehr heisst das nicht.    (S.208)

        

Das fügt sich, wie mir scheint, zu der neuen Richtung, die der Feminismus jetzt nimmt – weg von der Nachahmung der Männer und dem Beweis, dass wir es ihnen gleichtun können, und hin zu unserer eigenen Arbeit, die wir achten und definieren und zur Geltung bringen müssen. Die unsichtbare Arbeit. Arbeit ohne Titel, Hierarchie und Beförderung. Amorphe Arbeit. Ein unmerkliches Wirken für die Stimmung, das Umfeld, die Atmosphäre bei einer Zusammenkunft oder in einer Familie oder Gemeinschaft, wo andere, sichtbare Arbeiten zu tun sind.    (S.239)

 

Ich freue mich auf den Tag und möchte am liebsten, dass er nicht zu Ende geht. Ich verstehe es nicht! Vielleicht erlebe ich das Ende dieses Jahres nicht mehr. Aber hör doch nur, wie die Vögel singen!   (S.313)

 

Alle grossen Weisheitstraditionen der Welt sagen, dass der Augenblick des Sterbens ausserordentlich wichtig und eine kostbare Chance ist: Wenn der Tod eintritt, legt der Mensch den grobstofflichen Körper ab, und dadurch blitzen augenblicklich die höheren Dimensionen  - die subtile und die kausale – in seinem Bewusstsein auf. Erkennt er sie, so erkennt er auch augenblicklich seine Erleuchtung, und zwar viel leichter, weil er nicht mehr von der Dichte des stofflichen Körpers behindert wird. (S.423)

                                                                                 

Ihr Gesicht leuchtete wie von innen, und vor meinen Augen veränderte sich ihr Körper. … In dieser Stunde wurde sie ein anderes Wesen, bereit zum Aufbruch. Sie war darin sehr fest und bestimmt, und sie war überglücklich. Staunend bemerkte ich, wie der Funke übersprang und ich einfach hineingezogen wurde in diese tiefe Freude.   (S.430)

                                                                                                             

„Dann ist es jetzt Zeit.“ Wir schwiegen lange. Das ganze Zimmer schien zu leuchten, und das obwohl es stockdunkel war. Es war der heiligste und zugleich der schlichteste Augenblick, den ich je erlebt habe.  (S.432)

 

Ich glaube nicht, dass irgend jemand von uns Treya jemals tatsächlich wiedersehen wird; Vorstellungen dieser Art sind viel zu konkret, viel zu oberflächlich. Aber davon bin ich überzeugt: Wann auch immer jemand, der sie kannte, Sie oder ich oder irgendein anderer, in einer Haltung der Aufrichtigkeit, der Stärke und der Barmherzigkeit handelt, wird er Geist und Seele Treyas begegnen.     (S.439)

 

Das Versprechen, das ich Treya gegeben hatte und das sie mich immer wieder erneuern liess, das Versprechen, dass ich sie finden würde, bedeutete also, dass ich gelobt hatte, mein eigenes erleuchtetes Herz zu finden.   (S.439)

 

Treya war der stärkste Mensch, den ich je gekannt habe. Sie hat uns gezeigt, wie man lebt, und sie hat uns gezeigt, wie man stirbt.   (S.441)